Die Universität Tübingen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg

Die Universität Tübingen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg

Organisatoren
Wissenschaftliche Fachtagung des Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Ort
Weingarten (Oberschwaben)
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2008 - 16.03.2008
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Von
Oliver Haller

Im Einflussbereich der Reformation kam es zu einer starken Veränderung der europäischen Hochschullandschaft. Neue protestantische Universitäten und ein neuer Typus reformierter hoher Schulen entstanden; daneben wurden ältere Universitäten einschneidend reformiert. Zu ihnen gehörte die Universität Tübingen, die sich vor allem unter Wittenberger Einfluss erneuerte. Dabei spielte die Theologie eine dominierende Rolle. Seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts wurde Tübingen mit seiner bedeutenden Theologischen Fakultät zu einem Zentrum der lutherischen Orthodoxie. Aber auch die anderen Fakultäten leisteten aus späthumanistisch-reformatorischem Geist heraus Bedeutendes. Die Entwicklung der vier Fakultäten sowie einige herausragende Persönlichkeiten und zentrale Themen dieser Zeit wurden bei der interdisziplinär angelegten Tagung vorgestellt und dabei auch neue Forschungsergebnisse diskutiert. Die wissenschaftliche Fachtagung bildete die zweite in einer Reihe, in deren Mittelpunkt die Geschichte der Universität Tübingen steht. Sie soll in zwei Jahren fortgesetzt werden.

Die Tagung wurde vorbereitet und geleitet von Dieter R. Bauer (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart), Ulrich Köpf (Universität Tübingen, Evangelisch-theologische Fakultät, Lehrstuhl für Kirchengeschichte) und Sönke Lorenz (Universität Tübingen, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften).

In seiner Einführung stellte ULRICH KÖPF (Tübingen) die einschneidenden Veränderungen dar, die das Jahrhundert zwischen der Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg 1534 und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1634 mit sich brachte. Mithilfe von Persönlichkeiten wie Ambrosius Blarer, Johannes Brenz und Joachim Camerarius trieb Herzog Ulrich die Erneuerung des Lehrprogramms und des Lehrkörpers entschieden voran. Sein Nachfolger, Herzog Christoph (1550-1568), bestätigte und konsolidierte die Neuerungen und forderte von den Professoren das Bekenntnis zur Augsburgischen Glaubenskonfession. Unter Herzog Ludwig (1568-1593) entstand das Collegium illustre, das sich zu einem Anziehungspunkt für adlige Studenten entwickelte. Herzog Friedrich (1593-1608) bestimmte, dass alle Professoren die lutherische Konkordienformel unterschreiben sollten. Die 1601 reformierten Statuten prägten bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts die Organisation der Universität. Der Dreißigjährige Krieg, der sich von 1634 an auch in Württemberg abspielte, hinterließ in der Tübinger Universitätsgeschichte deutliche Spuren. Die Studentenzahlen fielen stark ab, und allein zwischen 1634 und 1638 starben 14 Professoren.

Besonders wies Ulrich Köpf darauf hin, dass nach heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen ein einziger Historiker die Geschichte einer Universität nicht mehr hinreichend darstellen kann. Experten müssen dazu beitragen, die Geschichte einzelner Fachbereiche aufzuarbeiten. In den letzten Jahren widmete sich SÖNKE LORENZ (Tübingen) engagiert einem wichtigen Desiderat der Tübinger Universitätsgeschichte, der Erarbeitung eines Professorenkatalogs. 2006 erschien der erste Band, für den die „peregrinatio academica“ der Artisten und Bakkalare der Tübinger Artistenfakultät von 1477 bis 1535 erschlossen wurde.

Die Beiträge der Referenten ließen sich thematisch jeweils den vier Tübinger Fakultäten zuordnen. Zunächst stand die Entwicklung der Artistenfakultät im Vordergrund. Am zweiten Tag wurden nacheinander Aspekte aus der Geschichte der Theologischen und der Juristischen Fakultät vorgestellt. Die beiden abschließenden Vorträge kreisten um die Medizinische Fakultät.

In seinem Vortrag über den Gräzisten Martin Crusius (1526-1607) und den Latinisten Nikodemus Frischlin (1547-1590) befasste sich JÜRGEN LEONHARDT (Tübingen) mit den beiden bekanntesten Altphilologen der nachreformatorischen Zeit an der Universität Tübingen. Mit seiner „Schwäbischen Chronik“, seinem „Diarium“ und den in griechischer Sprache verfassten Nachschriften von Predigten an der Tübinger Stiftskirche wurde Martin Crusius berühmt, während sich Frischlin vor allem durch lateinische Dichtungen und Erklärungen der Dichter Horaz, Vergil und Persius hervortat. Nicht nur persönliche Rivalitäten kennzeichnete ihre Beziehung, sondern auch der Gegensatz zweier unterschiedlicher wissenschaftlicher Konzepte. Crusius stellte in seinen Arbeiten vor allem philologische Aspekte in den Vordergrund; für Frischlin spielte der praktische Bezug eine wichtigere Rolle. Den Hintergrund dieses Ansatzes bildete eine allgemeine Bestrebung, die klassischen Autoritäten als Vorläufer moderner theoretischer Debatten zu betrachten. So lässt sich anhand von Crusius und Frischlin beispielhaft nachvollziehen, auf welch unterschiedliche Weise die Philologie schon im 16. Jahrhundert einen Zugang zu den antiken Klassikern suchte.

FRIEDRICH SECK (Tübingen) stellte in seinem Vortrag über Wilhelm Schickard (1592-1635) den Bildungsweg und die Zeit als Tübinger Professor in den Vordergrund, da seine wissenschaftlichen Leistungen etwa auf dem Gebiet der Mathematik, Hebraistik und Topographie schon mehrfach dargestellt wurden. Schickard besuchte zunächst die Lateinschule in Herrenberg, erwarb dann an der Klosterschule Bebenhausen das Bakkalaureat und nach seiner Aufnahme in das Tübinger Stift 1610 im Jahr 1611 den Magistergrad, um anschließend Theologie zu studieren. Nach Aufenthalten als Vikar in Herrenberg und Kirchheim unter Teck wurde Schickard 1614 Diakon in Nürtingen, wo er sich Kenntnisse des Syrischen und der Optik aneignete. 1618 folgte er einem Ruf an die Universität Tübingen als Professor Hebraeus. Nebenbei lehrte Schickard privat auch mathematische Fächer. 1631 erhielt er den astronomischen Lehrauftrag des verstorbenen Michael Mästlin und bezog damit das höchste Gehalt an der Universität nach dem Kanzler. Darüber hinaus belegen Schickards Freundschaft mit Johannes Kepler sowie sein Briefwechsel mit dem Historiker Matthias Bernegger und dem französischen Philosophen und Astronomen Pierre Gassendi, dass sein wissenschaftlicher Horizont weit über Tübingen hinaus reichte.

In ihrem Vortrag über den Mathematiker, Arzt und Kartographen Philipp Apian (1531-1589) erläuterte BARBARA MAHLMANN-BAUER (Bern) vor allem die bislang kaum erforschten Umstände seiner Entlassung als Professor an der Tübinger Universität 1583. Schon als Professor für Mathematik in Ingolstadt hatte sich Apian 1564 der Aufforderung verweigert, den Eid auf das Tridentinum zu leisten, worauf ihn Herzog Albrecht V. 1569 des Landes verwies. Im Wintersemester 1569 wurde er an die Universität Tübingen berufen und dort nach einjährigem Wirken zum Dekan der Artistenfakultät ernannt. 1582 forderte der Kanzler der Universität, Jakob Andreae, die Professoren dazu auf, die zwölf Artikel der Konkordienformel zu unterschreiben. Apian lehnte zunächst mit dem Hinweis ab, dass er sich zur Confessio Augustana bekenne. Der Schriftwechsel zwischen Apian, Herzog Ludwig und Andreae sowie die Protokolle des Tübinger Senats zeigen allerdings, wie Apian immer deutlicher mit dem Kalvinismus sympathisierte. Im Mai 1583 führte Apian ein Zitat von David Chyträus an, in dem dieser es abgelehnt hatte, die von den Kirchen verworfenen Lehren selbst zu verdammen. Aus Sicht des Herzogs erwies sich Apian damit als untauglich in der rechten wahren Lehre. Apians Entlassung verdeutlicht beispielhaft, welche Konsequenzen die „Konfessionalisierung“ nach dem Augsburger Religionsfrieden auf das methodische Selbstverständnis der akademischen Fachwissenschaftler und auf ihre Berufspraxis hatte.

Um einen anschaulichen Eindruck vom Umfeld der Universität Tübingen zu vermitteln, stellte WILFRIED SETZLER (Tübingen) das Stadtbild und die Bewohnerschaft von Tübingen um 1600 in den Mittelpunkt seines Vortrags. Fast alle Gebäude befanden sich innerhalb der hohen Stadtmauern. Das Schloss, in dem die Herzöge von Württemberg residierten, die spätgotische Stiftskirche und andere mächtige Gebäude wie die Aula, die Burse und das Evangelische Stift ließen Tübingen schon von fern als Amtsstadt und Sitz der Universität erkennen. Vor allem in den Jahrzehnten nach der Universitätsgründung 1477 kam es zu einer regen Bautätigkeit. Neben den markanten Gebäuden der Universität prägten auch die zahlreichen neuen Unterkünfte für Professoren und ihre Familien, für Studenten und für Berufsgruppen wie Buchdrucker und Verleger, Händler und Gastwirte das Stadtbild nachhaltig. Kirchenbücher, Bürgerverzeichnisse, Musterungs- und Steuerbücher zeigen, dass die Zahl der Einwohner von rund 2500 bis 3500 zur Zeit der Reformation auf etwa 4000 im Jahr 1600 anstieg. Während in der unteren Stadt die breite Unterschicht wohnte, kennzeichneten die mehrstöckigen herrschaftlichen Häuser der vergleichsweise starken Oberschicht die obere Stadt. Als um 1600 die Herzöge begannen, ihre Residenz von Tübingen nach Stuttgart zu verlegen, wandelte sich Tübingen allmählich von einem politischen Zentrum zu einer Universitätsstadt.

In seinem Vortrag über die Theologische Fakultät zwischen der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg stellte Ulrich Köpf die Entwicklung der Ordnungen in den Mittelpunkt. Da sich die vier Professoren der Theologischen Fakultät der Reformation widersetzten, wurden sie mit Ausnahme von Balthasar Käuffelin bald entlassen. In seiner zweiten Ordnung der Universität von 1536 bestimmte Herzog Ulrich, dass künftig nur noch drei ordentliche Professoren die Theologie lehren sollten. Die hohe personelle Fluktuation bei der Besetzung der Lehrstühle in den folgenden beiden Jahrzehnten zeigt, dass eine einheitliche Ausrichtung der Theologischen Fakultät nur langsam voranschritt. Herzog Christoph stellte 1561 den drei ordentlichen Professoren der Theologie, die sich vor allem der Bibelauslegung widmeten, einen Extraordinarius an die Seite, der seine Kollegen vertreten und die evangelischen Stipendiaten in seinen Vorlesungen auf ihre kirchlichen Aufgaben vorbereiten sollte. Von 1601 an sollten die Ordinarien im Wechsel über den Pentateuch, das Alte Testament und das Neue Testament lesen. So zeichnete sich allmählich eine Zuordnung fester Lehrstoffe zu den Lehrstühlen ab.

CHRISTOPH WEISMANN (Tübingen) stellte in seinem Vortrag über Jakob Andreae (1528-1590) die wichtigsten Lebensstationen des Tübinger Universitätskanzlers vor. Schon mit 17 Jahren wurde Andreae Magister der Tübinger Artistenfakultät. Er studierte ein Jahr lang Theologie und wurde 1546 Diakonus in Stuttgart, doch bereits im November 1548 aufgrund der Interimsgesetze entlassen. In Tübingen erhielt er zunächst eine Anstellung als Katechist, bis ihn Herzog Christoph zum Diakonus an der Stiftskirche ernannte. Von 1553 bis zu seiner Ernennung zum Kanzler der Universität Tübingen 1562 zählte Jakob Andreae zum Gremium der vier Generalsuperintendenten und damit zu den wichtigsten Theologen des Landes. Im Auftrag der württembergischen Herzöge Christoph und Ludwig unternahm Andreae als kirchlicher Diplomat zahlreiche Reisen, die ihn teilweise weit über die Grenzen Württembergs hinaus führten. Andreae unterstützte aber auch die Reformation benachbarter Territorien, bemühte sich auf Reichsebene um eine Beilegung der konfessionellen Kontroversen und nahm in Sachsen an den Verhandlungen teil, die 1577 in die „Formula Concordiae“ mündeten. Seine Aktivitäten reichten weit über Deutschland hinaus; so gewann der slowenische Reformator Primus Truber Andreae für die Übersetzung der slowenischen und kroatischen Reformationsliteratur. Als Verfasser zahlreicher Predigten, erbauender und polarisierender Schriften zählt Andreae auf protestantischer Seite zu den wichtigsten Kirchengestaltern des konfessionellen Zeitalters.

Allgemeiner als im Hinblick auf eine einzelne Persönlichkeit wie Jakob Andreae thematisierte REINHOLD RIEGER (Tübingen) die Streitigkeiten der Tübinger mit auswärtigen Theologen. Gleich nach dem Ende der Einschränkungen durch das Interim, als die evangelischen Theologen in Tübingen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen konnten, wurden sie in diverse wissenschaftliche Auseinandersetzungen hineingezogen oder suchten sie selbst. So gerieten sie in Verbindung mit auswärtigen Theologen in vielen Orten Europas: in Braunschweig, Danzig, Dillingen, Ingolstadt, Heidelberg, Helmstedt, Königsberg, Gießen, Wittenberg, Jena, Straßburg, Genf, Zürich und Konstantinopel. Themengebiete der Kontroversen waren die Anthropologie, die Christologie, die Sakramenten-, besonders die Abendmahlslehre, die Soteriologie, die Eschatologie, die Ethik und die Hermeneutik.

THOMAS H. MEYER (Tübingen/Rubenheim) Thomas Meyer ging in seinem Vortrag der Frage nach, welche Haltung die Tübinger Theologen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts gegenüber den Hexenverfolgungen einnahmen. Die Tübinger Theologische Fakultät eignet sich für eine Untersuchung der akademischen Magiologie besonders deshalb, weil von ihren Vertretern – teilweise theologischen Größen ihrer Zeit – nicht allein lateinische gelehrte Traktate zum Thema Teufel und Magie vorliegen, sondern dieselben auch Predigten zum selben Thema hielten. Gegenstand der Untersuchung war die Umsetzung theoretischer Dogmatik in praktische Pastoral und Ethik – ein differenzierter Prozess der Adaption und Modifikation, der die bisherige Einteilung in Gegner und Befürworter der Hexenprozesse zu sprengen scheint. Dies zeigte sich auch dort, wo es um die Behandlung dreier besonders prekärer Fälle durch die akademische Gerichtsbarkeit ging: Dreimal kam es im untersuchten Zeitraum vor, dass Tübinger Studenten einen Teufelspakt schlossen – und dabei ertappt wurden. Ihre milde Behandlung lässt eine nachsichtige Haltung der Tübinger Theologen erkennen.

WOLFGANG FRIEDRICH (Tübingen) zeigte in seinem Vortrag die Grundlinien auf, die die Entwicklung der Juristischen Fakultät zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg vor dem Hintergrund der allgemeinen humanistischen Tendenzen in der Wissenschaft bestimmten. Das wichtigste Ergebnis von Herzog Ulrichs Ordnungen der Universität von 1535 und 1536 sowie der Fakultätsstatuten von 1539 war eine Schwächung des geistlichen Rechts. Waren zuvor die Lehrstühle des geistlichen und des weltlichen Rechts je dreifach besetzt worden, lag das Verhältnis der kanonistischen gegenüber den legistischen Professuren fortan bei eins zu fünf. Versuche einer humanistischen Umgestaltung des Lehrprogramms blieben allerdings wenig erfolgreich. Auch der bekannte Johannes Sichard lehrte in Tübingen die scholastische Methode des „mos italicus“. In den 1550er-Jahren verliehen der prominente Franzose Charles Dumoulin und der Italiener Gribaldi Mofa der Tübinger Juristenfakultät jeweils nur kurze Zeit internationalen Glanz. Die Steigerung der literarischen Produktion, der Beitrag der Tübinger Rechtslehrer zum dritten württembergischen Landrecht von 1610 und die wachsende Bedeutung der Fakultät als Spruchkollegium lassen jedoch klar erkennen, dass von Tübingen wichtige Impulse zur Verwissenschaftlichung der Rechtspraxis und somit zur Ausformung des modernen Territorialstaats ausgingen.

Der Jurist Christoph Besold (1577-1638) zählt unbestritten zu den wichtigsten Tübinger Universitätslehrern des 17. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt des Vortrags von HEINRICH DE WALL (Erlangen) lag auf Besolds Staatslehre, insbesondere auf deren Kernbegriffen „Maiestas“ sowie Recht und Politik. Die 102 wissenschaftlichen bekannten Schriften Besolds behandeln allerdings neben den rechts- und politikwissenschaftlichen auch theologische, utopische und mystische sowie sprachwissenschaftliche und völkerkundliche Themen. Wie Aristoteles unterschied Besold die bürgerliche Gesellschaft („civitas“) als der Materie von der „res publica“ als der Form des Staates. In seiner Lehre von der „Maiestas“ oder Souveränität vertrat Besold neben anderen die moderne Auffassung, dass der Republik die „Maiestas realis“ zukomme, während der Kaiser die „Maiestas personalis“ innehabe. Diese Unterscheidung bietet ein erstes Beispiel dafür, wie durch die Einbeziehung des geltenden Rechts und die juristische Analyse die Begrifflichkeit der Politik erweitert und den Realitäten angepasst wurde. Insofern reflektierten Besolds theoretische Überlegungen auch politische Verhältnisse seiner Gegenwart.

SÖNKE LORENZ (Tübingen) stellte in seinem Vortrag dar, zu welcher Bedeutung die Tübinger Juristenfakultät als Spruchkollegium bis zum Dreißigjährigen Krieg gelangte. Die Gutachtenpraxis der Rechtsgelehrten und Rechtslehrer, die ihren Ursprung in Italien hatte, gelangte im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts zu allgemeiner Verbreitung. In Tübingen gewannen allerdings erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Fakultätsgutachten gegenüber den Gutachten einzelner Gelehrter an Bedeutung. 1551 wurden die für die württembergische Strafrechtspflege maßgeblichen Gerichte der Amtsstädte in einem Landtagsabschied angehalten, in zweifelhaften Fällen bei der Tübinger Juristenfakultät Rat zu suchen. Ein Tübinger Consilium von 1566 lässt erkennen, dass die Fakultät rasch praktisch dazu gezwungen war, sich täglich mit Strafverfahren zu beschäftigen. Allerdings konnten die Professoren als Rechtsgutachter ihre Einkünfte beträchtlich vermehren. Schon bevor 1601 die Tübinger Rechtsauskunftstätigkeit normativ geregelt wurde, hatte sie das Ansehen der Fakultät über die Landesgrenzen hinaus gefördert. So bedienten sich die Fugger 1593 in einem Rechtsstreit mit der englischen Krone eines Gutachtens der Tübinger Juristenfakultät.

Mit einem Vortrag über den Arzt, Botaniker und Humanisten Leonhart Fuchs (1501-1566) wandte sich PETER DILG (Marburg) thematisch der Tübinger Medizinischen Fakultät zu. Fuchs, der von 1535 bis zu seinem Lebensende als Professor der Medizin in Tübingen wirkte, gehört zweifellos zu den bedeutendsten Arztgelehrten im deutschsprachigen Raum des 16. Jahrhunderts. Als dem Humanismus verpflichteter Autor hinterließ er ein umfangreiches Werk, das einerseits aus Editionen, Übersetzungen und Kommentierungen antiker Fachtexte, andererseits aus einer Reihe von Lehrbüchern für verschiedene Gebiete der Heilkunde besteht, in denen er zugleich ebenso unerbittlich wie unermüdlich den Arabismus bekämpfte und für eine Erneuerung der griechischen Medizin eintrat, die ihm zeitlebens als der einzig wahre Maßstab galt. Bis heute bekannt geblieben ist er allerdings im Grunde nur durch seine Kräuterbücher, die in einer lateinischen (1542) und einer deutschen Fassung (1543) erschienen sind und deren Abbildungen in der Tat den Höhepunkt in der naturalistischen Pflanzendarstellung des 16. Jahrhunderts markieren. Zu Recht hat man den Namenspatron der Fuchsie denn auch unter die „Deutschen Väter der Pflanzenkunde“ aufgenommen.

Inwieweit die Nachfolger von Leonhart Fuchs an dessen humanistische Erneuerungsbestrebungen anknüpften, zeigte MIRIAM EBERLEIN (Heilborn) in ihrem abschließenden Vortrag über die Medizinische Fakultät im späten 16. Jahrhundert. Einige erhalten gebliebene Vorlesungsnachschriften, Studentenbriefe und gedruckte Disputationen belegen, dass die Schriften der antiken Mediziner, vor allem Galen und Hippokrates, bei der Vermittlung des Lehrstoffs zwar eine wichtige Rolle spielten. Doch insbesondere in den auf die ärztliche Praxis zielenden Vorlesungen zur Pathologie und zur Therapie wurde noch lange auch auf die Schriften der „Araber“, insbesondere auf Rhases und Avicenna, zurückgegriffen. In den Kommentierungen des Inhalts fand aber auch eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Erkenntnissen statt. Deren Verbreitung wurde zudem durch die hohe Mobilität der Studenten gefördert: Drei Viertel aller Tübinger Medizinstudenten zwischen 1535 und 1600 haben mindestens zwei Universitäten besucht; fast 40 Prozent waren in Italien oder Frankreich.

Die thematische Vielfalt der Beiträge ermöglichte nicht nur einen Einblick in die Grundlinien der institutionellen und wissenschaftlichen Entwicklung der vier Tübinger Fakultäten zwischen der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg. Sie ließ darüber hinaus erkennen, wie sich wichtige Persönlichkeiten mit dem Humanismus und mit den konfessionellen Entwicklungen auseinandersetzten. Auch wenn die mittelalterliche Lehre und Methodik vor allem an der juristischen und medizinischen Fakultät noch lange großen Einfluss hatte, zeigten sich doch die bedeutendsten Gelehrten aller vier Fakultäten aufgeschlossen gegenüber modernen Ansätzen.

In den Beiträgen gelang eine chronologische Anknüpfung an die Tagung „Tübingen in Lehre und Forschung um 1500. Zur Geschichte der Eberhard-Karls-Universität“, die das Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart im März 2006 veranstaltet hatte. Der daraus hervorgegangene Band mit den Beiträgen der Referenten wurde auf der Tagung der Öffentlichkeit vorgestellt. So viele Erkenntnisse die beiden Tagungen über die Frühzeit der Universität Tübingen auch vermittelten, so sehr warfen sie zugleich neue Fragen auf. So soll im Frühjahr 2010 eine weitere Tagung dazu beitragen, weitere, bislang dunkel gebliebene Aspekte aus der Tübinger Universitätsgeschichte bis zum Dreißigjährigen Krieg wissenschaftlich zu ergründen.

Kurzübersicht

Freitag, 14. März 2008

Die Universität Tübingen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg
Zur Einführung
Ulrich Köpf, Tübingen

Martin Crusius und Nikodemus Frischlin
Jürgen Leonhardt, Tübingen

Wilhelm Schickard
Friedrich Seck, Tübingen

Die Konfession als Gewissensfrage
Philipp Apians Entlassung
Barbara Mahlmann-Bauer, Bern

Die Stadt Tübingen um 1600
Wilfried Setzler, Tübingen

Samstag, 15. März 2008

Die Theologische Fakultät zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg
Ulrich Köpf, Tübingen

Auf Kanzeln, Kathedern und in Kutschen
Jakob Andreae als Universitäts- und Kirchenpolitiker
Christoph Weismann, Tübingen

Streitigkeiten der Tübinger Theologen mit auswärtigen Theologen
Reinhold Rieger, Tübingen

Systematische Theologie, katechetische Strenge und pädagogisches Augenmaß
Die Tübinger Theologen und die Hexenverfolgungen
Thomas H. Meyer, Tübingen/Rubenheim

Die Juristische Fakultät zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg
Wolfgang Friedrich, Tübingen

Politik, Recht und Majestät
Zur Staatslehre Christoph Besolds
Heinrich de Wall, Erlangen

Die Tübinger Juristenfakultät als Spruchkollegium
Sönke Lorenz, Tübingen

Präsentation des ersten Tagungsbandes:
Tübingen in Lehre und Forschung um 1500
Zur Geschichte der Eberhard-Karls-Universität

Sonntag, 16. März 2008

Leonhart Fuchs
Arzt - Botaniker - Humanist
Peter Dilg, Marburg

Leonhart Fuchs’ Erben
Die Medizinische Fakultät im späten 16. Jahrhundert
Miriam Eberlein, Heilbronn

Kontakt

Oliver Haller
E-Mail: <ollijoehaller@aol.com>


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